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Archäologie in Stadt und Landkreis Erding 2020 in Zeiten von Corona

Quelle: Archäologischer Verein Erding
11.01.2021

Landkreis Erding

Kein Archäologischer Neujahrsempfang im Museum Erding.

Kein Archäologischer Neujahrsempfang im Museum Erding. Erstmals in der 11-jährigen Vereinsgeschichte kann und darf es keinen öffentlichen Rückblick auf das Archäologische Jahr 2020 in Stadt und Landkreis Erding geben. Der festlich-feierliche Auftakt im Museum Erding hat sich in den vergangenen Jahren zu einem festen Bestandteil in Erdings Kulturszene entwickelt – bedingt durch die Corona-Pandemie fällt dieser Höhepunkt, so wie zahlreiche andere Kulturveranstaltungen auch – leider aus. Vermutlich kann dies erst im Sommer 2021 nachgeholt werden, gegebenenfalls unter freiem Himmel und im Rahmen des dann nachzuholenden 10-jährigen Vereinsjubiläums, das 2020 ebenfalls leider ausfallen musste. Die Herausgabe der Vereinschronik des AVE e.V. ist aktuell für Sommer 2021 geplant.

Dennoch war der mittlerweile über 200 Mitglieder zählende Verein im Rahmen der Möglichkeiten aktiv. So konnten im Frühjahr noch Vorträge (10. Neujahrsempfang sowie zum Limes-Welterbe in Bayern durch den Landeskonservator Prof. Dr. Sebastian Sommer) und die Jahreshauptversammlung stattfinden. Nur vereinzelt waren im Biergarten Stammtische möglich, die Herbstexkursion (geleitet von Rudi Koller) via Bahn und Bus nach Schleswig-Holstein und Hamburg konnte unter Wahrung der Hygienevorschriften „corona-frei“ stattfinden – ein echtes High-Light für viele Vereinsmitglieder. Die beliebte Grenzsteinwanderung rund um Burgrain mit Dorothea Hutterer, andere geplante Exkursionen sowie Vorträge, Museumsbesuche und leider auch das 7. Archäologische Sommer-Symposium im Museum Erding mussten jedoch ersatzlos aus dem Programm gestrichen werden. Bis auf Weiteres sind aktuell folglich mangels jedweder Planungssicherheit keine Veranstaltungen vorgesehen.

Nicht nur der Verein, selbstverständlich war auch die archäologische Forschung 2020 sehr aktiv. So konnte das AVE-Mitglied Marc Miltz M.A. seine Dissertation an der LMU München (betreut von Prof. Dr. Bernd Päffgen) zum „Merowingerzeitlichen Herren- und karolingischen Königshof von Altenerding“ abschließen und die Prüfung mit Bestnote bestehen. Seine Doktorarbeit wird in wenigen Wochen in Buchform als Doppelband erscheinen und herausragende Impulse in die lokale, regionale und überregionale Forschungslandschaft des Frühmittelalters aussenden. Weitere Themenbereiche zu Erdings Frühgeschichte wurden im Rahmen des von der Stadt Erding finanzierten Forschungsprojekts „Erding im ersten Jahrtausend“ fortgesetzt bzw. neu begonnen. So steht beispielsweise das frühmittelalterliche Reiterinnen-Grab mit Sattel von Aufhausen-Bergham, das 1996 geborgen werden konnte und im Museum Erding ausgestellt ist, nun mit auf dem Programm des Projekts.

Der Lockdown im Museum Erding wurde dazu genutzt, die Funde temporär aus den Vitrinen zu nehmen und der wissenschaftlichen Bearbeitung durch Johannes Mandl M.A. bereitzustellen. Aber auch die Forschungen rund um den frühbronzezeitlichen Spangenbarrenhort von Oberding laufen weiter auf Hochtouren. Sabrina Kutscher M.A. führt aktuell sämtliche Forschungsergebnisse zusammen und bereitet sie für die wissenschaftliche Endpublikation vor. Hier wurde eigens eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch Frau Prof. Dr. Carola Metzner-Nebelsick (LMU München) beantragt und bewilligt.

Den gesamtgesellschaftlichen Mehrwert von Archäologie spiegelt erneut die Verleihung des Archäologie-Preis Schule durch die Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V. an das Anne-Frank-Gymnasium Erding wider. Im Sommer 2020 konnte einem P-Seminar im Fach Latein unter Leitung von Klaus Gwuzdz der Preis unter freiem Himmel im Stadtpark die Ehre zu Teil und das Preisgeld übergeben werden. Oberbürgermeister Max Gotz und der stellvertretende Landrat, Rainer Mehringer, nahmen am Festakt teil. Die Schülerinnen und Schüler hatten ein Brettspiel – inhaltlich an die archäologischen Funde aus sieben Jahrtausenden im Museum Erding angelehnt – konzipiert und realisiert. Das Spiel steht nun für zukünftige museumspädagogische Aktionen für Schulklassen im Museum Erding zur Verfügung.

Dem enormen Flächenverbrauch im Raum Erding geschuldet, fanden auch 2020 zahlreiche bauvorgreifende archäologische Untersuchungen durch Grabungsfirmen statt. So beispielsweise in Oberding, Zustorf, Langenpreising und in nahezu allen Ortsteilen von Erding. Neben Großgrabungen für Neubaugebiete, Gewerbeflächen und Kiesabbauareale fanden auch vielerorts kleinere archäologische Maßnahmen für private Bauvorhaben statt. Mancherorts wurden diese durch ehrenamtliche Mitglieder des Archäologischen Arbeitskreises am Museum Erding sowie des AVE e.V. unterstützt, um die Grabungskosten für die Bauherren spürbar zu reduzieren. Koordiniert wurde die ehrenamtliche Grabungshilfe sowie die Begleitung von Oberbodenabträgen in Vermutungsflächen von Wilhelm Wagner, dem offiziellen Stadtheimatpfleger Archäologie für die Große Kreisstadt Erding, der auch in Einzelfällen die Fundreinigung im Museum Erding mit Ehrenamtlichen übernahm. In Langengeisling wurde eigens von Helmut Szill für die Schüler/innen der Grundschule Langengeisling eine Führung über die Grabungsfläche – mit einem, für manchen „schaurigem“ frühmittelalterliche Skelett – organisiert und von der Firma Plana-Team durchgeführt.
Teils spektakulär und von enormer zeitlicher Tiefe waren die Grabungen im zukünftigen Gewerbegebiet in Erdings Westen südlich der Dachauer Straße zu bezeichnen. Die Firma SingulArch konnte hier Siedlungspuren wie Hausgrundrisse, Abfallgruben, Grabenwerke sowie Gräberfelder aus einer Zeitspanne von knapp 6.000 Jahren freilegen – von der Jungsteinzeit bis hin zu den Römern. Dies alles in Flächen, in denen bislang größtenteils kein Bodendenkmal bekannt war. Bemerkenswert ist hier ein großer Friedhof mit über 40 Bestattungen, das den Übergang von Glockenbecherkultur hin zur Frühbronzezeit (ca. 2.400 – 2.100 v. Chr.) markiert. Die Grabungen werden im Frühjahr 2021 abgeschlossen sein, so dass aus bodendenkmalpflegerischer Sicht den geplanten Bauvorhaben dann nichts mehr im Wege steht und keinerlei Bauzeitenverzögerungen eintreten werden – ein vorbildhaftes und mittlerweile bewährtes Vorgehen innerhalb der Stadt Erding, das in enger Zusammenarbeit mit der Unteren Denkmalschutzbehörde im Rathaus Erding erfolgte.

Nicht minder außergewöhnlich gestalteten sich die Grabungen im zukünftigen Neubaugebiet am Poststadel im Osten der Großen Kreisstadt, die parallel zu den Erschließungsarbeiten stattfanden. Neben eines frühmittelalterlichen Friedhofs, der bereits 2019 von der Firma Anzenberger & Leicht ausgegraben wurde, kamen überraschend mehrere römische Brunnen zu Tage – mit bester Holzerhaltung unter Grundwassereinfluss. Aktuell liegen noch keine dendrochronologischen Daten zum Alter der Hölzer vor, die Brunnen dürften jedoch der darin gefundenen Keramik im Zeitraum 100-230 n. Chr. geschlagen worden sein. Sie lassen ein bislang unentdecktes römisches Gehöft (eine sog. villa rustica) im unmittelbaren Nahbereich am Fuße des Rotkreuzbergs vermuten.
Schließlich wurden, allerdings nicht zur wirklichen Freude, da auf Kosten des Kiesgrubenbesitzers und Stadtrats Josef Kaiser (welcher seinen Unmut über die Gesetzeslage in Bayern jüngst über die Lokalmedien öffentlich kundtat), im Zuge der Kiesgrubenerweiterung nordöstlich von Langengeisling weitere Fundamente von römischen Tuffsteingebäuden – teilweise mit Fußbodenheizung – aufgedeckt und von der Firma Plana-Team vor finaler Zerstörung dokumentiert. Seit Jahren begleiten dort die Archäologen die großflächigen Bodeneingriffe innerhalb eines einstigen römischen Bauernhofs, einer villa rustica mit eigenem, kleinen Thermengebäude. Die Funde aus Metall und Keramik werden aktuell im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege konservatorisch in den Restaurierungswerkstätten erstversorgt, bevor sie an den Eigentümer zum Verbleib in Privatbesitz zurückgegeben werden.

Der „Fall Kiesgrube Kaiser“ steht beispielhaft für den Unmut, der sich bei unzähligen Bauherren in Bayern seit der Privatisierung der Grabungstätigkeit Mitte der 1990er Jahre breitmacht – egal ob von privater, kommunaler oder unternehmerischer Seite. Ein fehlender Entschädigungsfond seitens des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege bzw. des Freistaats Bayern macht hier der Akzeptanz von Archäologie und Bodendenkmalpflege zunehmend zu schaffen – und stellt deren Sinnhaftigkeit in Frage. Denn es sind die Bauherren, die größtenteils auf den Grabungskosten „sitzen bleiben“. Gerade in gesamtgesellschaftlichen Krisenzeiten, wie der aktuellen Corona-Pandemie, sollte diesbezüglich „nach vorne gedacht werden“, die Verhältnismäßigkeit überprüft und mittel- bis langfristig Abhilfe geschaffen werden. Eine Novellierung des 1973 verabschiedeten Bayerischen Denkmalschutzgesetzes tut hier dringend Not. Und dies nicht nur mit Blick auf die teilweise immensen Grabungskosten, sondern auch mit Blick auf den Fundverbleib und das Eigentum – das, so meine Meinung, zukünftig als kulturelles Allgemeingut verstanden werden sollte. Die Gesetzgebungen nahezu aller anderen Bundesländer in der BRD können hier durchaus inspirierend wirken und auch für Bayern Pate stehen.

Die Corona-Krise als Chance also, um Althergebrachtes zu überdenken und neu zu bewerten – um mehr Gerechtigkeit zu schaffen? Das sind wir alle, so meine persönliche Meinung, unabhängig davon ob Politiker/in oder Bürger/in, unserer gemeinsamen Vergangenheit tatsächlich schuldig. Auch wenn diese Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurückliegt. Denn aus der sind wir schließlich alle hervorgegangen und ihre Spuren und Zeugnisse gilt es für die Nachwelt bei drohender Zerstörung durch Ausgrabung zu retten. Ohne das Werk und das Wirken der stets innovativen „Altvorderen“ (die auch immer „auf der Höhe“ der Zeit waren) wären wir heute schlichtweg nicht da, wo wir heute sind – insbesondere mit Blick auf weltweite Vernetzung, kulturelle Vielfalt, Traditionen, Friedensbemühungen, Forschung, Warenaustausch und die „Weltgesundheit“ im Medizin- und Gesundheitswesen.

Text: Harald Krause M.A., Archäologe, Vorstand im AVE e.V.

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